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Wenn Kinder keine Kinder mehr sind

Parentifizierung ist ein Begriff aus der Psychologie, der eine Situation beschreibt, in der ein Kind oder ein Jugendlicher die Rolle eines Elternteils übernimmt oder in die Verantwortung für die emotionalen Bedürfnisse, die Pflege oder die Entscheidungen der Eltern gedrängt wird. Es handelt sich um eine umgekehrte Rollenverteilung, bei der das Kind die Fürsorge- und Schutzrolle für die Eltern übernimmt. Dies bedeutet häufig ein vorzeitiges Ende der Kindheit. Durch nicht altersgemäße Aufgaben und Pflichten, aber auch Sorgen, werden Kinder und Jugendliche ‚parentifiziert‘ – schlüpfen in die Rolle eines Elternteils/Erwachsenen.


Wie entsteht Parentifizierung?


Die Parentifizierung kann verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise die Abwesenheit eines oder beider Elternteile, chronische Krankheit oder Suchtprobleme eines Elternteils, familiäre Konflikte oder Überlastung der Bezugspersonen. Das Kind wird in solchen Situationen dazu gedrängt, frühzeitig erwachsenenähnliche Aufgaben zu bewältigen. In permanenter "Alarmbereitschaft" mit dem Fokus auf dem Wohlergehen der Eltern, wird eine freie Entwicklung erschwert bis unmöglich. Auf der einen Seite kann das Kind ein erhöhtes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Empathie entwickeln. Es wird lernen für sich selbst und andere zu sorgen und mit schwierigen Situationen umzugehen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass es übermäßiges Bedürfnis nach Anerkennung und Zustimmung entwickelt, da es oft den Wunsch hat, den Eltern zu helfen und ihre Liebe und Anerkennung zu gewinnen. So entwickeln Kinder schnell ein Gespür dafür, wann es ihren Eltern nicht gut geht. In der Hoffnung zu einer Entlastung beitragen zu können, Mütter oder Väter wieder lächeln zu sehen, Krankheit, aggressive Verhaltensweisen verhindern oder Konflikte zwischen den Eltern abwenden zu können. Auf diesem Wege kommt es aber auch zur Vernachlässigung eigener Interessen, Freundschaften oder der Schule. Das Kind wird mit übermäßigem Stress und Belastung konfrontiert, was zu emotionaler Überlastung, Angstzuständen, Depressionen oder einem niedrigen Selbstwertgefühl führen kann. Die erlernten Verhaltensweisen übertragen sich meist bis in das Erwachsenenalter. Es ist nicht selten, dass Erwachsene das Gefühl haben, nie das eigene Leben gelebt zu haben oder die eigenen Interessen und Bedürfnisse nicht zu kennen.


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Parentifizierung


Im Zuge dessen können Gefühle der Leichtigkeit, Unbeschwertheit, der Sicherheit und Geborgenheit, zunehmend verloren. Ängste, Traurigkeit bis hin zu Depressionen, aber auch Wut oder Einsamkeit nehmen überhand. Anstelle einer von Spieltrieb und Tatendrang beflügelten Kindheit tritt der alles überschattende Wunsch, seine Eltern glücklich zu machen. Dieses unmögliche Ziel nicht erreichen zu können, verursacht neben Traurigkeit und Hilflosigkeit in vielen Fällen eine Isolation, welche die Traurigkeit und Einsamkeit erneut verstärken können.


Beispiele für eine mögliche Parentifizierung


- Ein Elternteil sucht Trost bei seinem Kind (z.B. weil es durch den Job/ Lebensumstände/ Beziehung/… überfordert ist)

- Ein Elternteil teilt mit seinem Kind Initimitäten über die elterliche Beziehung (z.B. wird das Kind zum Verbündeten instrumentalisiert, wenn von Seitensprüngen/… des anderen Elternteils berichtet wird)

- Vor dem Kind werden Feindseligkeiten ausgetragen

- Das Kind kümmert sich um psychisch kranke, suchtkranke Eltern

- Übernahme von Aufgaben und Verantwortung im Haushalt/der Erziehung/…

- das Kind muss für familiären Zusammenhalt sorgen und als Ratgeber fungieren

- Verschiebung von Autoritätsverhältnissen

- Bündnisse zwischen einem Elternteil und Kind → Auftreten von Loyalitätskonflikten

- Ausgrenzung eines Elternteils → Verlust einer stabilisierenden Familienstruktur

- Double-Binding als dysfunktionales, paradoxes Muster zwischenmenschlicher Kommunikation



Mögliche Auswirkungen im Kindes- und Erwachsenenalter


Kommt es dazu, dass Kinder und Jugendliche die Aufgaben und Rolle eines Elternteils übernehmen, können sich häufig bereits frühzeitig Auffälligkeiten in der Schule und im Miteinander mit Gleichaltrigen beobachten lassen.


- Nach außen gerichtet: Aggressionen, Hyperaktivität, Zerstörungswut

- Nach innen gerichtet: Ängste, Depressionen, auffälliges Essverhalten

- Ein stetiges Streben danach, alles ‚richtig‘ zu machen

- Ein Gefühl permanenter Unruhe, weil allzeit wachsam, ‘im Einsatz’


Welche Rollen innerhalb der Kommunikation werden von Kindern konkret eingenommen? Welche Folgen haben die jeweiligen Rollen?


- Kind wird zur KämpferIn: Schmerz wird in hier in Zorn und Wut umgewandelt. Durch ihre emotionale Abschottung vom Familiensystem können sie zwar Sanktionen kassieren oder nehmen Einbußen an Nähe hin, aber sie haben die Chance auf einen eigenen Stand- und Lebensmittelpunkt.


- Kind wird zum Ersatz für einen Partner: ein Vorgang, der häufig dadurch ausgelöst wird, dass ein Partner fremdgeht und der sich hintergangen fühlende Elternteil nun beim Kind nach Trost, Verbundenheit und Loyalität sucht. Eine beidseitig belastende und riskante Verbindung, deren konstruierte Rollen dauerhaft weder aufrechterhalten noch ausgehalten werden können.


- Kind wird zu Vermittler / Mediator / Eltern-Coach: Der Versuch als FriedensstifterIn oder LösungsanbieterIn zu agieren, führt auf Dauer zu einer Selbstüberforderung und Erschöpfung – auch im Hinblick auf das Erwachsenenleben, weil übergroße Projektformate für normal gehalten werden. Häufig geraten die betroffenen Kinder schleichend in diese Rolle, wenn ein Elternteil psychisch erkrankt ist oder aber sich in Beziehungsfragen an das Kind wendet. Besonders problematisch sind Situationen, in denen Elternteile ihre Kinder in ‚große‘ Fragen/Problemstellungen mit einbeziehen, die weitgreifende Folgen nach sich ziehen (z.B. Grundsatzfragen, die die Beziehung der Eltern betreffen). Derartige Verantwortung kann zu massiven inneren Konflikten (Loyalitätskonflikten) führen.


- Kind erfüllt Aufgaben im Haushalt: Wenn Kinder aufgrund überforderter Eltern einen altersunangemessenen Anteil der Hausarbeiten (Kochen, einkaufen, etc.) übernehmen, bleibt kein Raum für eigene Entfaltung, Entwicklung, für ein ‚Kindsein‘. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass sich das Kind später über das Erfüllen von Pflichten zu definieren versucht und Genuss, Selbstfürsorge, das eigene Wohlergehen in den Hintergrund rücken.


Im Erwachsenenalter sind diese Erfahrungen und angeeigneten Rollen weiterhin präsent:


- Perfektionismus: das Ziel, die geforderte Erwachsenenrolle zu übernehmen und infolgedessen ein enormer, nicht erfüllbarer Leistungsdruck → hohe Ansprüche, einer nicht lösbaren Aufgabe gerecht zu werden - dafür werden alle erforderlichen Opfer gebracht.


- Überverantwortlichkeit: wenn permanent das Gefühl besteht, für das Glück eines Elternteils verantwortlich zu sein, ist es schwierig, Sicherheit für das eigene Leben finden zu können sowie sich eigenen Bedürfnissen und Wünschen bewusst zu werden


- Autoritätskonflikte


Die ‚vertauschten‘ Rollen innerhalb des Familiensystems fallen den Betroffenen häufig gar nicht selbst auf, so sehr sind sie an die ungesunde Ordnung gewöhnt. Das Übermaß an Bindung und Nähe wird von Unbeteiligten häufig als Vertrautheit und besonders enge Beziehung gedeutet. Häufig wird den parentifizierten ‚Kindern‘ erst im Erwachsenenalter bewusst, wie schädlich das Konstrukt der Familie nachhaltig für sie war.


Während schon früh die Eigenschaften Erwachsener trainiert wurden und eine vorzeitige Reife zu beobachten ist, die Kinder und Jugendliche von Gleichaltrigen unterscheidet und trennt, sind Selbstfürsorge und –liebe meist nicht erlernt und immerzu unterdrückt worden.


Reflektion und professionelle Unterstützung suchen


Zunächst ist es unumgänglich, die Problematik der familiären Strukturen zu erkennen und eigene Verhaltensweisen auf Basis dessen zu verstehen. Wenn dieses Verständnis zu Lebzeiten des Elternteils geschieht, stellt es die ‚Kinder‘ vor eine emotionale Herausforderung einen selbstbestimmten Weg einzuschlagen.


Die üblicherweise in der Pubertät stattfindende Abnabelung bleibt häufig aus. Sich mit Bewusstwerden der Parentifizierung von den Eltern im Erwachsenenalter abzulösen, ist nun unumgänglich für einen fortan selbstbestimmten Weg. Es ist entscheidend, sich den Mangel an Erfüllung bewusst zu machen, um darüber zumindest einmal festzustellen, dass es eine Schieflage gab. Dieses Eingeständnis verbunden mit einer Selbstfürsorge ist ein neue, ungewohnte ‚Logik‘. In Begleitung ist es nun Schritt für Schritt das Ziel, ein Gespür für eigene Wünsche und Bedürfnisse zu entwickeln.


Kinder sollten die Möglichkeit haben, ihre eigene Kindheit zu erleben und sich auf ihre persönliche Entwicklung zu konzentrieren, während die Eltern die primäre Verantwortung für ihre Pflege und Erziehung tragen.


Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Grenzen von Kindern zu respektieren und eine unterstützende Umgebung zu schaffen, in der sie ihre eigene Kindheit erleben können. Um die negativen Auswirkungen der Parentifizierung zu minimieren, sollte eine professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden. Therapeutische Interventionen können dazu beitragen, das Kind dabei zu unterstützen, die elterlichen Verantwortlichkeiten loszulassen und seine eigene Identität und Autonomie zu entwickeln.


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